Die Digitale Transformation erfordert in allen Branchen neue Herangehensweisen für die Konzeption und Entwicklung von (Produkt-)Angeboten. Insbesondere agile Entwicklung und Design Thinking sind mittlerweile angesagte Methoden, die in jeder innovativen Entwicklungsabteilung – mit mehr oder weniger Erfolg – angewendet werden. Immerhin 70 beziehungsweise 60 Prozent der deutschen Unternehmen setzen die beiden Methoden laut einer aktuellen Umfrage der Unternehmensberatung mm1 ein – Tendenz zunehmend. Lean Startup ist gemäß der Umfrage noch zu wenig bekannt. Trotzdem, die Unternehmen haben demnach die Zeichen de Zeit durchaus erkannt: Digital vernetzte Angebote müssen schnell und effektiv auf den Markt gebracht werden, was nur mit State of the Art-Methoden möglich ist. Aber werden die Methoden auch richtig angewandt?

Klassische Entwicklungsansätze an ihren Grenzen

Die Digitalisierung zwingt Unternehmen aller Branchen dazu, mit neuen Angeboten ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Dabei haben sie mit mehreren Problemen zu kämpfen: Kundenbedürfnisse ändern sich auf Grund der schnellen Technologie-Entwicklung rasant und müssen ständig neu erspürt werden. Gleichzeitig müssen Entwicklungsprojekte flexibler und mit kürzeren Vorlaufzeiten auf solche Veränderungen reagieren. Und selbst wenn es gelungen ist, unter Einsatz neuer Technologien ein Kundenproblem zufriedenstellend zu lösen, muss für diese Lösung meist noch ein funktionierendes Angebots- und Geschäftsmodell gefunden werden.

Schnell konkret werden erfordert Disziplin

Gemeinsam ist den Methoden Scrum, Design Thinking und Lean Start-up, dass sie den Schwer-punkt darauf legen, in kurzen Zyklen konkrete Arbeitsergebnisse zu erzeugen und diese auf Tauglichkeit zu überprüfen – „Build (to think), Measure, Learn“ heißt das übergreifende Motto. Im Umkehrschluss bedeutet das: laufendes Erarbeiten von haptischen Endprodukten und die in der Regel schnelle Taktung der Zyklen erfordern eine entsprechende Disziplin.

Scrum ist ein Vorgehensmodell des Projekt- und Produktmanagements, insbesondere zur agilen Software-Entwicklung. Es wurde ursprünglich in der Softwaretechnik entwickelt, ist aber davon unabhängig. Scrum wird inzwischen in vielen anderen Bereichen eingesetzt und erlebt seit einiger Zeit einen regelrechten Boom. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass Scrum die Leistungsfähigkeit von Teams sowie die Qualität der entstehenden Software-Produkte erheblich steigern kann. Scrum ist ein hervorragender Beleg für die erfolgreiche Anwendung von Grundwerten wie Teamarbeit, agiler Arbeitsweise und iterativem Arbeiten. Jedoch ist die Einführung von Scrum insbesondere in großen Unternehmen mit zahlreichen organisatorischen und personellen Herausforderungen verbunden. Viele neu zusammengestellte Scrum-Teams stehen vor der Herausforderung, dass sie, häufig ohne gründliche Schulung und Vorbereitung, Scrum unter großem zeitlichem Druck einsetzen und leben sollen.

Design Thinking ist eine Methode, die zum Erkennen und Lösen von Nutzer-Problemen und zur Entwicklung neuer Ideen eingesetzt wird. Ziel ist dabei, Lösungen zu finden, die aus Anwendersicht überzeugend sind. Design Thinking läuft als Prozess in fünf Schritten ab:
Verstehen der Nutzerprobleme, Definition der Sichtweise beziehungsweise des Problems, Generierung von Ideen, Entwicklung eines Prototypen sowie Test und Bewertung des Prototypen.

Auf diese Weise kann relativ früh festgestellt werden, ob das gewählte Konzept realisierbar ist. Der gesamte Prozess, von der Definition eines Problems bis hin zur Entwicklung eines fertigen Produktes, kann allerdings von Stunden bis hin zu Jahren dauern – die Dauer hängt von der Aufgabenstellung bei der Entwicklung der Produkte und Dienstleistungen ab. Der starke Fokus von Design Thinking auf nutzerorientierte Ideenentwicklung stellt in der Praxis gleichzeitig die größte Limitierung der Methode dar: Die Nutzersicht blendet ökonomische Belange aus, sodass bei einem reinen Design Thinking-Ansatz die Gefahr besteht, dass nur Nischenverbesserungen ohne Überlebensfähigkeit am Markt entstehen.

Lean Start-up ist ein Rahmenwerk für schlanke, erfolgreiche Neuproduktentwicklung und Unternehmensgründung. Statt Wasserfall-modell und riskantem Launch bei finaler Produktreife setzt Lean Start-up auf die schnelle und häufige Iteration des Geschäftsmodells
mittels sogenannter Pivotierung – der Überprüfung von ausgewählten Geschäftsmodell-Treibern durch gezielte Experimente.

Beim Arbeiten nach der Lean Start-up-Methode wird ein mindestmögliches Produktangebot – MVP, Minimum Viable Product – durch frühzeitige Markttests validiert; auch dieses Verfahren ermöglicht es, den Kunden mit seinen Wünschen und Bedürfnissen frühzeitig in den Entwicklungsprozess einzubeziehen. Auch etablierte Unternehmen und große Konzerne stehen bei Innovationen und Neuproduktentwicklungen unter Zeit- und Erfolgsdruck. Kritisch ist es, bei neuen Ideen schnell die Spreu vom Weizen zu trennen und die richtigen Ansätze zügig zu optimieren. Dabei ist das Vorgehen entlang der Lean Start-up-Leitlinien hilfreich.

Methodenkanon anwenden

Die Entwicklungsansätze Scrum, Design Thinking und Lean Start-up haben in völlig unterschiedlichen Branchen wie der IT, der Kreativbranche oder der Start-up-Welt ihre Wurzeln. Als moderner Methodenkanon finden sie in den unterschiedlichsten Unternehmen Anwendung. Allerdings gibt es dabei die Tendenz, die iterativen Entwicklungsmethoden falsch einzusetzen. Insbesondere Design Thinking ist gerade eindeutig im Trend und es kommt beim jeweiligen Top-Management gut an, wenn ein Entwicklungsprojekt mit diesem Etikett versehen wird. Wenn dann aber der ersten Nutzerbeobachtung und Ideengenerierung nicht rigoroses Prototypisieren und Testen folgen, verpufft der Effekt sehr schnell.

Andererseits tut es gerade deutschen Unternehmen sehr gut, dass mit den genannten Methoden eine neue Fehlertoleranz und damit auch eine gewisse disziplinierte Kreativität Einzug hält. So kann der Methodenkanon seine volle Wirkung entfalten: Wenn bei einer digitalen Angebots- und Produktentwicklung die Nutzersicht des Design Thinking durch die rigorose Geschäftsmodellvalidierung der Lean Start-up-Methode ergänzt wird und zu guter Letzt mit Scrum die technische Umsetzung zielgerichtet erfolgt.   

Es kommt auf die richtige Kombination aller drei Methoden an

Die wichtigste Gemeinsamkeit der Methoden liegt dabei in ihrer iterativen Herangehensweise und der damit verbundenen Systematisierung der Kreativität durch ständige Überprüfung der schnell entstehenden Zwischenergebnisse. Allerdings beobachte ich in manchen Unternehmen auch eine Tendenz zur Einseitigkeit und Oberflächlichkeit beim Einsatz der Methoden. Sie werden so auf eine pure Mode-erscheinung reduziert und letzten Endes ohne Wirkung eingesetzt. Dabei machen Design Thinking, Lean Start-up und Scrum in der Kombination am meisten Sinn.

Für mich sieht die ideale Abfolge wie folgt aus: Zu Beginn eines Projektes versetzt sich ein Entwicklungsteam mittels Design Thinking konsequent in die Perspektive des Nutzers und etabliert so ein gutes Verständnis von Bedürfnissen aus Anwendersicht. Mit disziplinierter Ideengenerierung und Prototypisierung entsteht dann ein Minimum Viable Product, das nach der Lean Start-up Methode am Markt erprobt werden kann. Hier wird aber nicht nur das Produkt, sondern auch das zu Grunde liegende Angebot und Geschäftsmodell überprüft und geschärft. Zu guter Letzt erfolgt die technische Umsetzung mittels Scrum in kleinen und handhabbaren Schritten

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