Agile ist einfach? Schön wär’s! Noch immer haben viele Unternehmen Probleme damit, die agile Arbeitsweise richtig um- und einzusetzen. Mal liegt es an der Unternehmenskultur, mal steht die Ungeduld des Managements dem agilen Wandel im Weg. So oder so ist die Enttäuschung groß, wenn die agile Arbeitsweise nicht ins gelobte Land der schnellen, fehlerfreien Softwareentwicklung führt. Eigentlich ist das aber gar kein Wunder.
Es ist wie immer im Leben. Manches liegt einem, anderes einfach nicht so sehr. Wer mit agilen Methoden nichts anfangen kann, lässt sich auch durch die zehnte Schulung nicht zum agilen Superhelden erziehen. Und selbst Menschen, die total begeistert von Agile sind, können noch richtig viel falsch machen:
1. Unternehmenskultur & das Management
Das belegt auch der aktuelle State of Agile Report, den VersionOne in diesem Jahr bereits zum zehnten Mal vorgelegt hat. Demnach ist ein häufig gemachter Fehler in der Umsetzung agiler Methoden der Druck zur gleichzeitigen Beibehaltung von Wasserfall-Methoden. Mehr als ein Drittel der Befragten gab im diesjährigen State of Agile Report an, dass agile Projekte daran scheitern würden. 15 Jahre nach der Veröffentlichung des agilen Manifests ist das eine ganze Menge – immerhin hatten die Methoden ja schon reichlich Zeit, um sich zu verbreiten.
Eine noch größere Hürde stellt die fehlende Unterstützung der agilen Arbeitsweise durch das Management dar; ein Aspekt, der das vorgenannte Problem noch einmal verdeutlicht. Immerhin entscheiden die Führungskräfte darüber, nach welchen Methoden gearbeitet wird. Seit dem Report 2010 haben sich Micromanager und sonstige nicht agile Führungskräfte von Platz sechs der Umfrageergebnisse auf Platz drei der Gründe für agile Misserfolge hochgearbeitet.
Geschlagen wird dieser Grund fürs Scheitern agiler Projekte nur noch von einem Mangel an Erfahrung im agilen Arbeiten (Platz 2) und einer Unvereinbarkeit der Unternehmenskultur mit agilen Prinzipien auf Platz 1. Und genau da schließt sich der Kreis: Wenn das Management nicht mitzieht, kann sich die Unternehmenskultur nicht verändern; wenn sich die Kultur nicht der agilen Arbeitsweise anpasst, trauen sich Manager nicht, ihre Macht aufzugeben und lassen den Entwicklern nicht die nötige Freiheit, um agil arbeiten zu können. Ein Teufelskreis.
2. Multi-Methoden- und Hybrid Agile
Agile Wasserfälle, „Multi-Methoden-Ansätze“ und Hybrid Agile sind Schlagworte, die hier eine große Rolle spielen. Gemeint ist der Versuch, agile Prinzipien mit klassischen Wasserfall-Organisationsformen zu vereinen. Die dahinterstehende Idee ist komplexer als sie auf den ersten Blick erscheint, obwohl ein Methodenkonflikt ja sogar zum Scheitern von Projekten führt.
Dennoch gibt es Warnzeichen für das Scheitern agiler Hybriden. Diese sind vor allem dann sichtbar, wenn die Unternehmenskultur nicht zum agilen Arbeiten passt. Zu den größten Hürden für agiles Arbeiten gehören die Trennung zwischen verschiedenen Disziplinen. Das gilt sowohl für Teams, die nur entwickeln oder nur testen, als auch für Iterationen, die nur auf einen Aufgabenbereich (beispielsweise das Design oder die Tests) ausgelegt sind.
Auch wer sich aus der agilen Methodik nur die Meetings herauspickt, kann nicht mit Erfolg rechnen. In solchen Fällen sollte von hybriden Wasserfällen die Rede sein, nicht von hybriden agilen Methoden. Hybride Agilität entsteht eher dann, wenn Unternehmen aus verschiedenen Frameworks die für sie passenden Ansätze wählen, um ein eigenes Vorgehen zu entwickeln. Die Grundprinzipien des agilen Arbeitens müssen aber jederzeit erfüllt werden.
3. Mangelnde Erfahrung
Jenseits dieser ganz grundlegenden methodischen Probleme benennt der State of Agile Report aber ja auch einen anderen Faktor, der das agile Arbeiten scheitern lässt: Die mangelnde Erfahrung. Dieser Aspekt muss allerdings differenzierter betrachtet werden. Misserfolge gehören zum agilen Arbeiten dazu, genau so wie der Erfolg. Scheitern die ersten Iterationen eines Teams, das die agile Arbeitsweise gerade erlernt, ist das normal; bis zur Perfektion agiler Methoden können mithin sogar Jahre vergehen.
Ein (zu) verbreitetes Phänomen stellt hier das „Agile is for
Christmas“-Denken dar. Dabei wird Teams nicht die notwendige Zeit
eingeräumt, um die agile Transformation vollständig zu durchlaufen; auch
die Unternehmenskultur kann sich nicht verändern. Die agile Methode
wird so schnell wieder abgelegt, wie auch die Weihnachtsdekoration –
weil sie nicht sofort zum gewünschten Erfolg geführt hat.
4. Bewertung der Arbeitsgeschwindigkeit
Woran lässt sich aber messen, ob das Team sich in die richtige Richtung bewegt? Diese Frage ist nicht nur im Kontext der agilen Arbeitsweise schwer zu beantworten, sondern immer dann, wenn es um die Arbeit von Entwicklern geht. Die Zahl der gelösten Probleme, der geschriebenen Codezeilen oder die Menge der Bugs im Code – was macht einen guten Entwickler aus? Am Ende geht es natürlich um jeden dieser Faktoren; kurzfristig kann aber keiner davon für sich alleine genommen Auskunft darüber geben, ob eine Methode funktioniert.
Im agilen Arbeiten wird darum gerne die Velocity eines Teams als Maßstab für seinen Erfolg herangezogen, also das gleichbleibend hohe Tempo, mit dem Feature Points bearbeitet werden. Auch diese Geschwindigkeit muss aber erst einmal etabliert werden und hängt danach von vielen Faktoren ab. Gab es große personelle Veränderungen im Team, kann das die Arbeitsgeschwindigkeit stark beeinflussen. Wird nun nur einmal pro Quartal beurteilt, ob die agile Arbeitsweise zum Erfolg führt, kann also schnell ein verzerrtes Bild entstehen.
5. Umgang mit Fehlern
Andererseits sollte aber auch das Konzept der Fehlertoleranz richtig verstanden werden. Agiles Arbeiten erlaubt es Entwicklerteams ausdrücklich, Fehler zu machen, um daraus zu lernen. Das ist aber keinesfalls so gemeint, dass Bugs einfach aufs Backlog gesetzt werden sollten, um dort zu bleiben bis sie irgendwann einmal gefixt werden. So sammeln sich nur immer mehr und mehr kleine Probleme an, die irgendwann zu einem wirklich großen Hindernis im Projektverlauf werden.
Agile richtig machen
Agile richtig anzuwenden ist eine Kunst – oder doch nicht? Am Ende geht es nämlich nicht darum, eine einzelne Methode korrekt umzusetzen, sondern vor allem darum, Entwicklern die Freiheiten und Strukturen an die Hand zu geben, die sie brauchen, um sich selbst zu organisieren. Dazu ist häufig ein gewaltiger unternehmerischer Wandel notwendig; gelingt diese Umstellung, läuft es aber irgendwann fast wie von selbst. Bis dahin erfordert der agile Wandel aber viel an Reflexion und Bewusstsein für eigene Verhaltensmuster und Denkweisen, damit der Prozess nicht in eine vorhersehbare Katastrophe führt.